Die Geschichte von Karlshorst VII
Die eingezäunte Garnison
Das Nachkriegskarlshorst wurde in erster Linie geprägt durch die „Russen“ und ihr lange Zeit in unterschiedlicher
Größe bestehendendes Sperrgebiet.
Kurz nachdem die ersten Soldaten der Roten Armee am 23. April 1945 in Karlshorst erschienen kursierten
Gerüchte, dass Karlshorst kurzfristig von der deutschen Zivilbevölkerung geräumt werden
müsse. Mit einem Befehl vom 3. Mai 1945, den sowjetische Lautsprecherwagen zwei Tage darauf
verkündeten, wurde dies Wahrheit: Mindestens achttausend Einwohner mussten innerhalb von 24
Stunden ihre Wohnungen und Häuser verlassen. Nur wenige Deutsche, die für die Besatzungsmacht
arbeiteten, durften bleiben.
Betroffen von der Räumung war das gesamte nördlich der S-Bahnlinie liegende Wohngebiet. Die Rote
Armee umzäunte das Gebiet westlich bis zur Friedrichsteiner Straße (nach anderen Angaben nur bis
einschließlich Junker-Jörg-Straße) und östlich bis zu den Kleingartenanlagen und der Grenze zu
Biesdorf. Die nördliche Begrenzung bildete die Hönower Straße; im Nordosten waren noch die Häuser
an der Warmbader Straße eingeschlossen. Im Süden bildeten die S-Bahngleise ein Schlagbaum quer
über die Treskowallee die Grenze. Darum wurde 1951 der heute bestehende südliche Eingang zum
Bahnhofsgebäude gebaut und der alte Eingang unter der Brücke zugemauert. Die streng bewachte
Haupteinfahrt lag am Rondell Rheinstein-/Ehrenfelsstraße.
Doch trotz Zaun und Wachen blieb das Sperrgebiet nicht völlig abgeschlossen. Häufig blieb ein Zugang
zu den Gärten der sowjetisch besetzen Häuser möglich, ganz abgesehen von den vielfach genutzten
Lücken im Zaun. Doch ein Dauerzustand sollte die Absperrung zum Glück nicht bleiben.
Schon am 25. Dezember 1949 (vier Tage nach Stalins Geburtstag) gab die Rote Armee die gesamte
Westhälfte und Teile der Osthälfte frei. Am 26. Mai 1963 wurde am Morgen überraschend auch der
Rest der Absperrungen aufgehoben. Lediglich ein „innerer Kreis“ von etwa 15 Häusern blieb bis zum
Abzug fest in sowjetischer bzw. russischer Hand.
Neben den „großen“ Teilaufhebungen des Sperrgebiets kam es immer wieder zu kleinen Änderungen.
Am auffallendsten war im Juni 1945 die Teilung in eine Ost- und eine Westhälfte durch hohe Zäune
beiderseits der Treskowallee, um die Wiederaufnahme des Straßenbahnverkehrs zu ermöglichen. Die
Dönhoffstraße wurde 1947 eisenbahnseitig gesperrt und 1948 das Heimatviertel vollständig freigegeben.
Im Zusammenhang mit einer Truppenreduzierung war ab 1950 der Bezug von Wohnungen im
Prinzenviertel wieder möglich und Anfang der 50er Jahre wurde der rechte Bürgersteig der Stolzenfelsstraße
freigegeben. Ab 1957 verlief der Sperrzaun schließlich hinter den Häusern der Treskowallee.
Neben dem unübersehbar giftgrün umzäunten Gebiet nutzte die Besatzungsmacht weitere Gebäude
in Karlshorst: Bereits der „Karlshorster“-Ausgabe 06/2005 wurde die Grundschule in der Gundelfinger
Straße erwähnt, die mit ganz kurzer Unterbrechung seit 1945 durch die Besatzungsarmee genutzt
wurde; seit dem 1. September 1954 wieder als Schule, aber nur für Kinder sowjetischer Offiziere.
Auch die evangelische und die katholische Kirche, die mitten im Sperrgebiet lagen, wurden zweckentfremdet:
Die katholische St. Marienkirche blieb bis 1950 als Unterkunft für Vieh sowie als Möbelspeicher
und Kohlenlager in sowjetischer Hand. Entsprechend sah die Kirche bei der Rückgabe aus. Das
Pfarrhaus diente als Kino, Offizierskasino und Gefängnis. Der evangelischen Kirche in der Weseler
Straße erging es als Lager für die Möbel vieler aus ihren Wohnungen vertriebener Karlshorster Bürger
und als Pferdestall nicht besser. Nach der Rückgabe 1955 konnte die Kirche erst im Juli nach vollständiger
Instandsetzung wiedereröffnet werden.
Die heutige Katholische Hochschule für Sozialwesen wurde von der Roten Armee als Verwaltung für
Wirtschaft der SMAD in Anspruch genommen, zum Teil diente die Einrichtung als Gefängnis des Geheimdienstes.
Der S-Bahnhof Karlshorst verwaiste vorübergehend, da im Mai und Juni 1945 beide Gleise der Strecke
nach Erkner demontiert wurden. Aber wenigstens den alten Rennbahnhof nutzte die Rote Armee
weiterhin als Station für Pferdesendungen.
Große Gebiete an der Rennbahn dienten als Kasernengelände, und auch das Elisabeth-Hospital sowie
einige Häuser am Traberweg unterlagen sowjetischer Nutzung. Der Geheimdienst zog erst
1953/54 aus Friedrichsfelde in ein Eckhaus Rheinstein-/Königswinterstraße.
Heute muss man in Karlshorst schon recht genau suchen, um Spuren der Garnisonsvergangenheit zu
finden. Seit dem Abriss der Kaserne südlich der S-Bahn sind fast nur für Eingeweihte an einigen Mauerresten
am früheren inneren Kreis Hinterlassenschaften zu finden.
Jörg H. Ahlfänger, M.A.